Besonders

Es war einmal ein kleiner, ganz gewöhnlicher Schmetterling. Er hatte weder eine besonders prachtvolle Farbe, noch ein auffälliges Muster oder eine interessante Form. Er war einfach da, flog so durch die Gegend und langweilte sich. Irgendwann beschloss der kleine, ganz gewöhnliche Schmetterling, dass es so nicht weitergehen konnte – er machte sich also auf die Suche nach Freunden. Nach langem herumirren traf er auf eine Gruppe von anderen Schmetterlingen, welche ihn zuerst sehr freundlich aufnahmen. Doch irgendwann merkte der kleine, ganz gewöhnliche Schmetterling, dass die anderen Schmetterlinge einfach nicht zu ihm passten. Sie plauderten immer über Themen, die ihn nicht interessierten oder sie bewunderten sich gegenseitig für ihre Farbenpracht, ihre tollen Muster und die außergewöhnlichen Formen. Also entschloss er sich weiterzusuchen.

Nach langer, langer Zeit, ihm kam es vor wie Jahre, war er so erschöpft vom Herumflattern, dass er sich auf einer saftigen Wiese niederließ. Der Stein auf den er sich setzte war rau aber gemütlich. Plötzlich sagte eine Stimme: „Nanu, wer bist denn du?“ Der kleine, ganz gewöhnliche Schmetterling sah sich um und entdeckte direkt neben dem Stein eine gelbe, strahlende Blume. Ihre Schönheit blendete ihn und er musste blinzeln. „Meinst du mich?“, fragte er. „Natürlich! Ich habe dich hier noch nie gesehen. Wer bist du?“, antwortete die gelbe Blume. „Ach…“, murmelte der Schmetterling. „Ich bin nur ein kleiner, ganz gewöhnlicher Schmetterling.“ Da lachte die Blume: „Gewöhnlich? Das ich nicht lache! Hier flattern ständig ganz gewöhnliche Schmetterlinge herum. Die haben entweder total grelle Farben oder hässliche Schnörkelmuster auf den Flügeln oder sie haben eine komische Form. Aber was sie gemeinsam haben ist, dass sie alle gleich aussehen! Langweilig!“ Der kleine, ganz gewöhnliche Schmetterling blickte an sich herunter. Wenn man es so betrachtete war er tatsächlich anders als die anderen und zwar als einziger hier in der Gegend. Da musste er grinsen. „Also ICH finde dich besonders!“, sagte da die Blume plötzlich und grinste auch.

„Danke“, freute sich der immer noch kleine, aber nun besondere Schmetterling. „Aber jetzt verrate du mir auch, wer du bist.“ Die Blume sank ein wenig in sich zusammen und wog den gelben Kopf hin und her. „Ich…ach ich…ich bin niemand“, sagte sie dann leise. „Niemand? Das ist ja ein komischer Name!“, sagte der kleine, besondere Schmetterling. „Aber ich mag den Namen!“, setzte er noch schnell hinzu. Da lachte die Blume wieder und streckte sich ein wenig. „Okay, ich verrate dir was“, sagte sie. „Ich heiße nicht „Niemand“, ich heiße Pusteblume.“ Der Schmetterling grinste und als die Blume merkte, dass das auch ein komischer Name war, lachten beide zusammen.

Von dem Gelächter der beiden wurde ein kleiner Hase angelockt. „Nanu, wer bist denn du?“, fragte Pusteblume freundlich, als der Hase näher kam. „Ich bin Hasi“, sagte der Hase und klopfte einmal mit den Hinterpfoten auf, um den beiden zu demonstrieren, dass er schon groß und stark war und der Name eigentlich gar nicht zu ihm passte. „Und wer seid ihr?“ Die Blume sagte: „Ich bin Pusteblume und das hier ist der kleine, besondere Schmetterling.“ Die drei merkten gleich, dass sie sich sehr gut verstanden und redeten und lachten bis in die Nacht hinein. Als sie müde wurden, legte sich Hasi neben Pusteblume und der kleine, besondere Schmetterling ließ sich auf Hasis Rücken nieder.

Am nächsten Tag baute Hasi sich eine Höhle direkt neben der Blume, weil es nachts doch ziemlich kalt für ihn war. Pusteblume gab dem Schmetterling etwas von ihrem Nektar ab und Schmetterling besorgte dafür Wasser, das er mit einem kleinen Blatt transportierte. Sie lebten schon eine ganze Weile glücklich zusammen, da sagte die Pusteblume plötzlich beim Frühstück: „Kleiner, besonderer Schmetterling, weißt du, warum ich Pusteblume heiße?“ Der Schmetterling dachte nach, aber er wusste nicht, was die Antwort auf die Frage sein sollte. Er schüttelte den Kopf. „Eigentlich heiße ich noch gar nicht so“, sagte die Blume. „Ich heiße eigentlich Löwenzahn. Aber irgendwann verblühe ich und dann werde ich erst zu einer Pusteblume. Meine Samen werden dann vom Wind weggeweht und irgendwo landen sie und aus ihnen entstehen neue Löwenzahnblumen.“ Der kleine, besondere Schmetterling sah sie lange und fragend an. Warum erzählte sie ihm das? „Was ich damit sagen will“, setzte Pusteblume ihre Erzählung fort, „ist, dass ich bald nicht mehr hier bin, zumindest nicht so, wie du mich kennst. Zwar wird ein Teil von mir hier bleiben, mein Stängel, meine grünen Blätter und meine Wurzeln, ich werde nicht mehr mit dir reden können. Es ist nur für eine Weile, im Frühjahr werde ich wieder hier sein, genauso wie jetzt. Und weißt du, Hasi wird auch eine Weile weg sein, er wird den Winter über in seiner Höhle verbringen und schlafen, dass machen Hasen so, damit…“

Sie verstummte, als sie die Träne in dem Knopfauge des kleinen, besonderen Schmetterlings sah. Er drehte sich schweigend weg und flog davon. Drei Tage flog er durchgehend und ruhte sich nur kurz aus, wenn es dunkel war. Am dritten Tag setzte er sich auf einen Stein am Fluss. Dieser Stein hier war anders, als „sein“ Stein neben Pusteblume. Oder Löwenzahn. Oder der Schwindlerin. Hatten sie ihm nicht beide geschworen, dass sie immer zusammen bleiben würden? Für immer und ewig? Und jetzt wollten sie weggehen und ihn alleine lassen. Er war einer jener Schmetterlinge, die das ganze Jahr über frei und flatterig waren, er kannte das Wort „Winterschlaf“ nur aus Erzählungen und kalt war ihm auch nie. Plötzlich lächelte er, denn ihm fiel auf, dass das etwas Besonderes für einen Schmetterling war – und da dachte er wieder an Pusteblume. Sie hatte ihm bestimmt nur so lange nichts gesagt, weil sie ihn nicht verletzen wollte… Und sie würde ja wiederkommen, das hatte sie auch gesagt…

Er schüttelte seine Flügel aus und flog so schnell es ging heim zu seinen Freunden. Als er den Stein erreichte hatte Pusteblume sich schon etwas verändert, sie war nicht mehr ganz so strahlend gelb wie vorher. Auch Hasi sah buschiger aus, ihm war ein dickeres Fell gewachsen. Der kleine, besondere Schmetterling setzte sich auf den rauen, warmen Stein und weinte. Er hatte furchtbare Angst, dass die zwei sauer auf ihn waren, weil er einfach davon geflogen war. Aber seine Sorge war unbegründet, die beiden freuten sich einfach nur riesig, dass er wieder da war. „Kleiner, besonderer Schmetterling“, sagte Hasi. „Wir gehen ja nicht für immer weg, wir kommen doch wieder!“ „Ich weiß, dass habe ich endlich verstanden“, sagte der Schmetterling. „Wir haben dich doch so lieb und wollten dir nicht weh tun“, sagte Pusteblume. „Ich weiß“, sagte der Schmetterling leise. „Ich hab euch auch lieb.“ Da setzte sich Hasi zu der Blume und sagte: „Komm, kleiner, besonderer Schmetterling, wir kuscheln ein bisschen und planen, was wir bei unserer Rückkehr alles machen wollen!“ Der Schmetterling landete sanft auf dem Rücken des Hasen. „Ich muss euch noch was sagen“, meinte er. „Ab jetzt nenne ich dich, Pusteblume, Leoni und dich, Hasi, Laura. Diese Wörter bedeuten nämlich zusammen „beste Freunde“.“ Da lächelte Hasi und sagte: „Dann heißt du Jacki, denn das bedeutet „aller“. Allerbeste Freunde.“

Schweigend aber glücklich saßen sie da und warteten darauf, dass die Sonne unterging. Und als Hasi in seine Höhle ging und einschlief und Pusteblume alle ihre Samen verloren hatte, da bereitete sich der kleine, besondere Schmetterling voller Vorfreude auf ihre Rückkehr vor und die Zeit verging wie im Flug.

Mit dem ersten Sonnenstrahl öffnete Pusteblume erneut ihre gelbe Blütenpracht und Hasi streckte den Kopf aus seiner Höhle – und endlich waren sie wieder zusammen.

05. März 2011

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